Vis á vis mit den Profis
von Thorsten
Zwei Namen elektrisieren alle Triathleten: Hawaii und Roth. Roth, eine kleine Stadt in Franken, südlich von Nürnberg steht für Tradition und den größten Triathlon der Welt. Das Triathlon-Festival in der europäischen Triathlon-Hochburg fand bereits 1984 das erste Mal statt. In diesem Jahr waren über 250.000 Zuschauer dabei und machten mit ihren Anfeuerungen die ganze Veranstaltung zu einem wahnsinnigen Spektakel!
3.200 Einzelstarter und 650 Staffeln gingen an den Start. Die Teilnehmer kamen aus 74 verschiedenen Ländern. Für die Versorgung und die Betreuung der Sportlerinnen und Sportler auf den Wettkampfstrecken waren über 7.500 freiwillige Helferinnen und Helfer im Einsatz. Sie verteilten u.a. fast 3.000 kg Bananen, 31.000 Liter Mineraldrink, 22.000 Liter Mineralwasser, 30.500 Energieriegel und 38.500 Energiegels.
Roth ist längst Legende mit einem absoluten Weltklassefeld angeführt von mehreren Weltmeistern. 40.000 Sportler weltweit haben sich für einen Startplatz interessiert. Die Startplätze waren nach 70 Sekunden ausgebucht. Ich hatte Glück und war dabei, bei einem der gefragtesten Events des Weltsports.
Der Wettkampf startet mit dem Schwimmen im Main-Donau-Kanal, setzt sich fort mit einem 2-Runden-Radkurs durch den Triathlonlandkreis Roth und einem abschließenden Marathon mit dem Zieleinlauf und der „Finishline“ Party im Stadion Roth.
Das wirklich außergewöhnliche an Roth ist jedoch der ganz besondere „Spirit“ der über Allem liegt. Der Triathlon scheint in den Genen der Bewohner verankert zu sein. Es gibt nur freundliche und hilfsbereite Menschen. Unglaublich, wie liebevoll die Zuschauermassen geleitet werden. Jeder ist willkommen, um ein Teil dieses unbeschreiblichen Events zu werden. Das liegt sicherlich auch an Familie Walchshöfer, den Organisatoren der Veranstaltung. Sie leben Ihre Vision von der „Challenge family“ vor. Sie sind trotz aller Hektik bei den Sportlern. Sind beim Schwimmstart dabei, tauchen mit dem Motorrad auf der Radstrecke auf oder kommen einem mit dem E-Roller auf der Laufstrecke entgegen.
Die Veranstaltung war ein Traum, mein Wettkampf ein Genuss.
Petra und ich sind am Freitagnachmittag angereist und haben bei strömenden Regen und kaltem Wetter die Startunterlagen abgeholt. Abends wurde es wärmer und sonnig und wir konnten problemlos unser Zelt auf einem nahen Campingplatz aufbauen. Kurze Zeit später kamen auch Martin und Silvia im komfortablen Wohnmobil. Im Gepäck leckere Grillsachen und kühles Bier. Ein chilliger Abend mit viel Vorfreude läutete das Wettkampfwochenende ein.
Sonnabend, herrliches Sommerwetter. Ausgiebiges Frühstück. Nochmals Kontrolle des Wettkampfequipments. Füllen und Beschriften der unterschiedlichen Startbeutel. Letzter Technikcheck des Bikes. Dann bin ich mit Petra zum Main-Donau Kanal gefahren. Dort sollte morgen der Schwimmstart stattfinden und dort musste bereits heute das Rad abgegeben werden. Die Atmosphäre dort war bereits magisch. Viele Menschen, professioneller Moderator, interessante Interviews und Live-Statements der Profis, dazu gute Musik. Fast 4.000 Räder nebeneinander. Und auch die Bikes der Profis standen am gleichen Ort wie die Räder aller anderen. Nur etwas geschützt mit Flatterband. Wir haben die Stimmung genossen, gut gegessen und viel getrunken (alkoholfrei) und im Schatten am Kanal relaxt. Um 16 Uhr sind wir nach Roth zur Wettkampfbesprechung ins Stadion gefahren. Danach wieder zum Zeltplatz. Mittlerweile waren auch Kerstin und Jens angekommen. Willkommene Ablenkung am Wohnmobil von Martin und Silvia. Der Coach hat für mich Nudeln gekocht. Der Rest hat wieder gegrillt. Heute nur alkoholfreies Bier für mich. Der Abend war völlig stressfrei. Ich fühlte mich gut vorbereitet. War gut drauf. Die gute Stimmung der anderen trug einen wichtigen Teil dazu bei. Um 22 Uhr ging es für mich ins Bett. Auch wenn ich nicht fest geschlafen habe, bin ich doch recht entspannt zur Ruhe gekommen.
Sonntag, 3. Juli 2022 – THE RACE DAY!
Um 3.45 Uhr bin ich aufgestanden. Porridge mit Obst. Kaffee. Gewaschen. Angezogen. Nochmals 30‘ geruht. Aufgestanden. Toilette. Die am Vorabend vollständig gepackte Tasche geschnappt. Zusammen mit Petra Richtung Schwimmstart.
PERFEKTES WETTER. Warmes Sommerwetter, die Sonne ging über dem Main-Donau Kanal auf. Kein Wind. In der Wechselzone nochmals Luftdruck am Rad gecheckt. Trinkflaschen aufgefüllt. Beutel mit Radschuhen, Socken, Fruchtpüree und Sonnenmilch vor dem Wechselzelt abgelegt. Getrunken, Toilette. Stimmung aufgesogen. Mit Petra gequatscht. Um 6.30 Uhr den Start der Profis verfolgt. Hautnah! Neoprenanzug angezogen. Um 7.15 kam Jan Frodeno aus dem Wasser. 2 m von mir entfernt. Live konnte ich verfolgen, wie er Probleme hatte seinen Trisuit anzuziehen. Um 7.30 Uhr ging es für mich ins Wasser. Jede Startgruppe bestand aus ca. 200 Sportlern. Kanonenschuss. Los! Ich versuchte dem Getümmel etwas aus dem Wege zu gehen und schwamm am Uferrand. Dennoch waren immer Schwimmer vor oder hinter mir. Mal schwamm der eine etwas quer, mal hatte ich einen Zickzackkurs. Irgendwann musste ich dann sogar die langsamen Schwimmer der vorherigen Startgruppe überholen. Es war stets ordentlich Action im Wasser. Ich hatte ein gutes Gefühl beim Schwimmen, auch die kurzen Sprints bei Überholen brachten mich nicht aus dem Rhythmus. Ein richtiger Flow ergab sich zwar nicht, aber es war ja auch kein Training, sondern Wettkampf. Nach 1:13 Stunden hatte ich die erste Disziplin beendet. Ohne Krämpfe aber mit einem breiten Lächeln verließ ich das Wasser. Die Zeit war gut! Beutel mit den Radschuhen geschnappt. Im Wechselzelt umgezogen – wer wollte wurde dabei sogar unterstützt. Erneut mit Sonnenmilch eingerieben. Zum Rad. Helm auf und los.
Perfektes Wetter. Der Trisuit ist schnell getrocknet, die Muskeln waren warm, die Sonne lächelte. Der Asphalt war gut. Die Strecke recht voll. Ich überholte! Ich fuhr schnell. Hohe Trittfrequenz. Immer den Puls im Blick. Nicht überreizen. Auf den ersten Kilometern gut verpflegt und viel getrunken. Alle 17,5 km kam eine Verpflegungsstation. 1 Flasche Wasser zum Körper kühlen, eine Flasche mit Sportgetränke als Verpflegung. In JEDEM Ort ein Stimmungsnest. Martin, Silvia, Kerstin und Jens standen natürlich an der Strecke! Die Kilometer schmolzen dahin. Ich flog über den Asphalt. Bei Kilometer 66 kam eine Motoradkolonne von hinten – Begleitfahrzeuge für die beiden führenden Profis Jan Frodeno und Maurice Clavel – die mich auf ihrer zweiten Radrunde überholten. Bei Kilometer 70 dann der sagenumwobene Solarer Berg. Dort stand auch Petra, um mich zu pushen. Der Solarer Berg – eine Stimmung, unfassbar. In einer engen Gasse fuhren wir durch 50.000 (!) Zuschauer, jeder Athlet wurde den Anstieg hochgeschrieen. Emotionen. Lächeln. Freude.
Auf der zweiten Radrunde kam leichter Wind auf. Trotzdem lief das Radfahren weiterhin locker. Bewusst habe ich schon etwas weniger „gedrückt“, denn immerhin lag noch ein Marathon vor mir. Im Training war meine längste Radstrecke 120 km – und das war fordernd. Hier bei diesen Zuschauern, dieser Stimmung, der traumhaften Strecke, dem Überholen – da waren die 180 km (fast) schon zu schnell vorbei. Nach 5:30 Stunden im Sattel war ich in der Wechselzone 2. Einfach nur schön.
Das Rad wird einem abgenommen, der Wechselbeutel gereicht. Im Wechselzelt. Helm ab, Radschuhe aus, Socken und Laufschuhe an, Sonnenmilch auftragen und weiter. Der Fahrtwind auf der Radstrecke hatte eine kühlende Wirkung. Jetzt, es war kurz vor halb drei, merkte man plötzlich die Hitze. Für mich „eigentlich“ -bei bisherigen Wettkämpfen weniger ein Problem- aber das war nicht im Rahmen eines Langdistanztriathlons. Die erste Wassertonne nahe der Wechselzone war mit kühlem (das wurde später anders) Wasser gefüllt, das verschaffte wohltuende Erfrischung. Die Laufstrecke führte zunächst aus Roth hinaus. Am Main-Donau Kanal ging es schnurstracks geradeaus einmal hin und zurück. Insgesamt 30 km, bevor die Strecke dann nochmals durch Roth hindurch nach Büchenbach und von dort zurück ins Ziel, dem Stadion in Roth, führte. Ich bin sehr gut ins Laufen gekommen. Trotz der 180 km auf dem Rad fühlten sich die Beine gut an. Mental war ich munter, fokussiert, „gut drauf“! Meine „Begleiter“ standen jetzt an der Laufstrecke und pushten mich! Ich achtete wieder aufs Tempo und auf die Herzfrequenz. Wollte genau nach Plan laufen. Das ging zunächst auch noch problemlos – ein wenig rechnete ich schon hoch, was das für eine Zielzeit werden könnte, wohlwissend jedoch, dass noch viel passieren konnte. Grundsätzlich war ich sehr konzentriert, achtete auf meine Lauftechnik und auf ausreichend Verpflegung. Ein wenig machte sich der Magen bemerkbar – aber alles noch im „Grünen Bereich“. Nur die Hitze war langsam belastender als ich dachte. Die Wassertonnen am Kanal, die zur Abkühlung dienen sollten, wurden entweder direkt aus dem Kanal oder aus Tankanhängern befüllt – mit dem Ergebnis, dass das kühlende Wasser selber eine Temperatur von (vermutlich) weit über 30 Grad hatte. Dass nicht nur ich leichte Probleme hatte, konnte man an den sehr vielen Sportlern erkennen, die mittlerweile nur noch gehen konnten (und das teilweise schon auf der Hinrunde). Noch lag ich aber voll im Soll! Timo (ein Freund, der im letzten Jahr in Roth dabei war) hatte mich bereits gewarnt: „Wenn ihr den Kanal verlasst, dann geht die Strecke ab Kilometer 30 bergauf!“ Dieser Satz war auf einmal lebenswichtig. Denn diese leichte Steigung fühlte sich nach dem langen Wettkampf extrem anstrengend an. Meine geplante Geschwindigkeit (die sich auf einen flachen Kurs bezog) konnte ich nun nicht mehr einhalten. Aber ich konnte mich zumindest mental drauf einstellen. Physisch hatte ich zu diesem Zeitpunkt jedoch auch keine Reserven mehr. Immerhin war ich noch am Laufen, anders als viele andere.
Dann doch ordentlich ausgepowert, jedoch sehr zufrieden, die Stimmung genießend, lief ich die letzten Meter ins Stadion nach Roth. Petra stand an der Bande, ein kurzer Kuss (irgendwie wollte ich jetzt doch über diese magische Finishline) und jubelnd durchs Ziel. Mit einer Marathonzeit von 3:42 Stunden belegte ich beim Laufsplitt immerhin noch Platz 394.
Was war das für ein grandioser Tag!! Unglaublich, unfassbar, toll!!
Fast surreal waren nochmals die Emotionen beim Betrachten der offiziellen Medien. Die Berichterstattung im TV, die Sequenzen in den Mediatheken, die vielen Bilder – das war mein Wettkampf. Das Schwimmen – ich war dabei. Der Solarer Berg – ich wurde dort hochgepeitscht. Der Lauf am Kanal – dort war auch ich unterwegs. In welcher Sportart gibt es das sonst noch, dass die Amateure exakt dasselbe erleben, wie die Profis?
Challenge Roth. Wunderbare entspannte und doch fokussierte Tage und Stunden vor dem Start. Eine unglaublich faszinierende Stimmung rund um die Veranstaltung. Ein tolles Rennen, ein geglückter Wettkampf. Roth, the Home of Triathlon!
Neben meiner Familie, ohne deren Unterstützung diese bleibende Erinnerung nicht möglich wäre, gilt mein besonderer Dank Martin, der nicht nur die Trainingsplanung erfolgreich gestaltete, sondern auch mein Rad renntauglich gemacht hat. Sehr großen und lieben Dank aber auch an die Supporter in Roth und zuhause. Ohne Eriks Sondertraining im Freiwasser und die Trainingsbegleitung der Vereinskollegen wäre ich sicherlich nicht so gut in den Wettkampf gestartet. In erster Linie habe den Wettkampf für mich gemacht, aber es ist dann doch auch schön, wenn viele andere mitfiebern. Und, liebe Mama, es hat mit wirklich Freude gemacht!