von Jörg
In Zeiten von Corona werden die Leute erfinderisch. So wurde zum Beispiel die erste Deutsche Gravel Serie - orbit360 ins Leben gerufen. Es gibt 16 Strecken, in jedem Bundesland eine, die man im Zeitraum Anfang Juli bis Anfang September bestreiten kann.
Je nach Anzahl der gefahrenen Tracks bekommt man Punkte und dann noch Zusatzpunkte je nach Platzierung.
Aber Punkte und Platzierungen interessierten mich nicht, ich fand die Idee dahinter toll und wollte unbedingt einen oder sogar mehrere Orbits fahren.
Da ich momentan Freitags Kurzarbeit habe und die Wettervorhersage perfekte Bedingungen versprach, sollte es Donnerstag direkt nach (vorverlegtem) Arbeitsende los gehen.
Das Rad war hergerichtet, alle Utensilien verstaut und die Kofferwaage zeigte den einsatzbereiten Renner mit stolzen 20,5 kg an. WAS? Jörg, was hast du da wieder alles eingepackt, was du am Ende doch nicht benötigst?
Kurz reflektiert und gedacht, dieses Zusatzgewicht hattest du am Jahresanfang noch alles auf der Hüfte, also stell dich mal nicht so an!
Rad ins Auto und ab nach Bremen, geparkt auf dem Firmenparkplatz und im Bereich des Flughafens in den Track einsteigen. So war der Plan.
Allerdings wollte mein Garmin mir die Strecke nicht anzeigen. Nach drei Versuchen den Garmin mit Komoot zu synchronisieren, beschlich mich der Verdacht, dass das mit dem Cyberangriff auf Garmin zusammenhängt.
Was tun? Zurück nach Hause, Garmin per Kabel an den Laptop angeschlossen, Track aufgespielt, AUSPROBIERT!!! und wieder ab nach Bremen.
Das fing ja gut an. Also nochmal den Startknopf gedrückt, allerdings erst um 18 Uhr, 3 Stunden später als geplant. 15 km später Plattfuss - ein klassischer Snakebite. Bin in eine von Grasbüscheln verdeckte Längsspalte im Betonweg geraten.
Spätestens jetzt war klar, dass dieses Abenteuer unter keinem guten Stern steht.
Aber kein Problem, in meinen 11 kg Gepäck war ja auch ein neuer Schlauch und Panzertape für den Mantel. Mit der kleinen Pumpe wieder Luft drauf und weiter.
Das Schlimmste hast du jetzt hinter dir - dachte ich.
Es ging in Richtung Oldenburg auf schönen Singletrails durch Wald und Flur. Allerdings waren auch einige Passagen dabei, da fragte ich mich, ob das wirklich sein muss. Der Track führte durch richtig überwucherte Pfade, die fast nicht zu erkennen waren. Wieder auf offener Strecke kamen die Sandwege - muss das wirklich sein?
Schon nach ein paar hundert Metern war für mich kein Vorankommen mehr und ich musste bestimmt einen Kilometer weit schieben.
In schönem Wechsel ging es so weiter - schwer zu befahrene Singletrails im Wald und nicht fahrbare Abschnitte im Sand. So machte das leider keinen Spaß, ich wollte eigentlich auf Schotter fahren und nicht mein Rad durch die Norddeutsche Tiefebene schieben.
Bis Sonnenuntergang hatte ich gehofft etwa 1/3 der Strecke, also ca 100 km hinter mir zu haben.
Das hat bei Weitem nicht geklappt. Bei km 75 um kurz nach 22:00 Uhr habe ich meine Einmannschlaftüte aufgebaut.
Zuerst konnte ich nicht einschlafen, die Anstrengung der letzten 4 Stunden arbeitete in mir. Irgendwann bin ich aber doch weggeschlummert und habe erstaunlicherweise bis kurz nach 5 Uhr gepennt.
Bis das ganze Gerödel wieder eingepackt war (hat sich das Volumen über Nacht verdoppelt?) dauerte es, so dass ich gegen 6:00 h wieder aufs Rad stieg.
Nach kurzer Asphaltstrecke der nächste Sandweg, 13 km lang, immer wieder musste ich absteigen und schieben. Aber die Bereiche, die fahrbar waren, gingen richtig an die Substanz.
Frühstück gab es in Ovelgönne beim Bäcker und auch Nachschub für die Wasserflaschen. Nach Ovelgönne zuerst wieder Sandwege, dann wurde es grüner - sehr viel grüner! Das hüfthoch wuchernde Gras lies mich den Weg fast nicht mehr erkennen. Außerdem verfing es sich in der Schaltung, hielt mein Rad fest, welches mich daraufhin abwarf. Nichts passiert, also weiter.
Spätestens jetzt überwogen meine Zweifel, ob diese Geschichte gut für mich ausgeht. Den Rest gab mir der Blick auf das Schilffeld - hier durch - muss das wirklich sein?
Am Ende des Schilfweges ging es an einer Kuhweide mit Schwarz-Weißen vorbei. Doch der gespannte Stacheldraht wollte genau das verhindern. Ein paar Sandwege weiter, endlich am Jadebusen angekommen, war meine Kraft schon ziemlich erschöpft. Ein anderer Teilnehmer hatte geschrieben, dass ab hier die Kilometer nur so purzelten. Darauf wartete ich vergebens. Obwohl fast durchgängig auf Asphalt benötigte ich für die 38 km 1 3/4 Stunden.
Im Kopf fingen diverse Berechnungen an. Selbst wenn ich das Tempo beibehalten könnte, würde ich in die nächste Nacht hinein fahren. Die Kraft ist aber aufgebraucht. Also aussteigen, nach 169 von 323 km. Oder abbrechen und ganz normal auf der Strasse zurück - aber die Kraft ist aufgebraucht! Oder Wenke, die mich retten kommt, entgegenfahren. Bis zu ihrem Feierabend und der Tour nach Bremerhaven könnte ich noch ca 4 h weiter fahren, also so 50-60 km. Und dann? Wofür? Auf der Fähre überzeugten mich meine Beine, dass es für heute Schluss ist.
Leider - mein erstes DNF in einem angemeldeten Event! So hatte ich mir das natürlich nicht vorgestellt. Aber die Streckenführung lag ganz eindeutig über meinen Fähigkeiten. Es gibt keine Ausrede, es lag an mir, denn etliche andere Teilnehmer haben die Herausforderung gemeistert. Euch zolle ich meinen Respekt!
Als Fazit nehme ich aber auch vieles Positive mit. Diese Art Radfahren (ohne Sand, Schilf und MTB-Trails) macht mir Spaß und die Übernachtung im Minizelt war witzig. Am Packmaß und den Zusatzkilos kann noch gefeilt werden.
Auf ein nächstes Mal