von Thorsten
74 km, 4.400 Höhenmeter rauf und wieder runter – davon 2.460 hm am Stück, Laufen, auf La Palma
Ein traumhafter Lauf
Samstag, 11.05.2024: 2.45 Uhr aufstehen, duschen, frühstücken. 4 Uhr Abfahrt zur Startlinie am Strand des südlichen Punktes der Insel, dem Leuchtturm Faro de Fuencaliente. 4.55 Uhr Ankunft. Sehr böiger, aber warmer Wind. Die Stimmung ist super! 6 Uhr Start. 900 Männer und Frauen laufen mit Stirnlampe los. Vorne weg viele internationale Top-Athleten. 200 Läufer hinter mir aber auch 700 vor mir. Es geht sofort bergan. Hinauf auf den Rücken der Cumbre Vieja. Teilweise mit Staus auf der Strecke. Leider zunächst ohne Stöcke (die Benutzung war in einigen Abschnitten, die durch Naturschutzgebiete gingen, verboten).
Das erste Stimmungsnest in Los Canarios. Bisher 1:15 Stunde bergauf. Position 732. Jetzt wurde es hell und die Stöcke durften endlich benutzt werden. Phantastischer blauer Himmel. Wir liefen über den Wolken.
Nach 1:50 Stunde bergauf der nächste Verpflegungspunkt. Mittlerweile hatten wir eine Höhe von 1.839 m ü. NN erklommen. Position 533. „Bedacht“ hatte ich auf meinen Arm geschrieben. Ein bedachtes Rennen wollte ich heute laufen. Zwischenzeitlich kurze Fotopausen – das Panorama war unglaublich faszinierend. Durch die kurzen Pausen vermied ich es, mich an jemanden ran zu hängen. Ich lief mein Rennen. Wollte keine Fehler machen, trank viel. Hielt meine Verpflegungsstrategie genau ein (Gels, an der Verpflegungspunkten Obst und salzige Nüsse und trinken!). Ich fühlte mich extrem gut.
Jetzt ging es wieder leicht bergab Richtung El Pilar und hinein in den spektakulären Wolkenfall auf der Cumbre Nueva. El Pilar: sehr viele Zuschauer. Hier war das Ziel des Halbmarathons und Start des Marathons. 4 Stunden war ich unterwegs. Ich lag auf Rang 502.
Nach 4:51 Stunden Verpflegungspunkt Reventon. Rang 464. Kein Zeichen von Müdigkeit.
Heraus aus den Wolken, hinein in die Sonne und kontinuierlich den Kraterrand der Caldera de Taburiente hinauf. Drei Stunden ohne Verpflegungspunkt. Kurze Fotopausen. Ein unglaubliches Rennen. Alles lief wie im Traum. Die Strecke, meine Verfassung – irreal.
Nach 7:45 Stunden hatte ich den Pico de la Cruz erreicht. Daniela saß auf einem riesigen Felsen und feuerte mich an mit selbst gebastelten Schildern. Etwas längere Pause am Verpflegungspunkt. Hubschrauber flogen und holten die Erschöpften von der Strecke. Ich fühlte mich fit und das sahen auch Daniela und Volker. Viel Trinken, Salztabletten und Mineralstoffe und weiter ging es.
Der höchste Punkt der Insel, der Roque de los Muchachos. 2.460 m ü. NN. Daniela und Volker waren wieder da. Perfektes Wetter. Bisher ein perfektes Rennen! 52 km! 8:49 Stunden Laufzeit.
Nun ging es bergab. Der längste Downhill den es überhaupt gibt! Von 2.460 m über dem Meerspiegel geht es direkt hinab zum Strand von Tazacorte. Downhill – kann ich nicht! Kann man nur in den Bergen üben. Downhill über scharfkantiges Lavagestein. Technisch anspruchsvoll. Ich verabschiedete mich von Daniela und Volker mit dem Hinweis, dass die folgende Strecke völlig unplanbar für mich ist. Ich lag jetzt an Position 375. Berghoch kann man vergleichsweise wenige Positionen gut machen, bergab aber sehr viele verlieren. Wie wird es werden?
Ich lief los mit einem extremen Hochgefühl, wie berauscht. Und ich lief! An Athleten vorbei. Sehr schnell in den technischen Steilpassagen und noch viel schneller auf den kurzen laufbaren Abschnitten. Ich stürzte mich den Rand des Kraters hinab. Das Teilnehmerfeld, zu diesem Zeitpunkt des Rennens, weit auseinandergezogen. Man trifft eigentlich wenige Läufer. Doch ich lief auf einen auf, ich überholte, ein anderer Läufer kam ins Sichtfeld, ich überholte … und so ging es immer weiter. Was war mit meinen Beinen los? Sie waren so unglaublich, so unvorstellbar stark am heutigen Tag.
Die vorletzte Verpflegungsstation des Rennens in Time. 62 km hatte ich absolviert, es lagen nur noch 11 km vor mir! 1.240 Höhenmeter hatte ich mich gerade heruntergestürzt. 1:36 Stunde nur Vollgas. Rang 295. Niemand hatte mich auf dieser Passage überholt.
Der Strand von Tazacorte, man konnte ihn fast sehen, man konnte die Stimmung hören. Er war doch so nah! Nur 7,5 km. Aber auch noch 1.185 Höhemeter entfernt. 1.185 Meter runter, bei einer Strecke von 7,5 km – brutal! Man sah den Strand und er kam nicht näher! Hart. Nach 11:18 Stunden war ich am Strand von Tazacorte – nein nicht im Ziel, sondern bei der letzten Verpflegungsstation. Jedoch ein riesiger Zielbogen, denn hier war das Ziel des Marathons. Volksfeststimmung! Party, Zuschauer, Musik! Wir liefen durch den Zielbogen des Marathons, die Zuschauer feuerten uns an. Auch auf dem letzten Abschnitt hatte mich niemand überholt. Rang 280. Was war das für ein Downhill … nicht real.
Tazacorte, lag im Westen der Insel, Meershöhe, im Windschatten des Vulkans. Es war jetzt 16.25 Uhr. 4 mickrige Kilometerchen noch. Diese Passage kannte ich genau. Ich war sie vor drei Tagen schon gelaufen. Also keine Überraschung. Ich wusste, dass es jetzt noch 1,5 km in einem Flussbett, sogar recht flach, weiterging. Dann nochmals ein sehr steiler Anstieg und dann die unglaublich schöne und ca. 1,5 km lange Zielgerade in der Stadt Los Llanos de Aridane.
Das Flussbett, die Sonne direkt von hinten! Noch hoch am Himmel stehend! Sich stauende Wärme, deutliche höhere Temperaturen als eben beim Downhill an der Kraterkante und KEIN Windzug und kein Schatten. Euphorie, noch angefeuert durch die grandiose Stimmung in Tazacorte. Vielleicht überhörte ich dadurch die Signale des Körpers – ich war doch fast im Ziel. Das Flussbett, eigentlich laufbar. Das Ziel greifbar. Zum ersten Mal am heutigen Tag musste ich kämpfen. Ich hatte es doch fast geschafft. Jetzt der kurze Anstieg und dann bist du im Ziel – ich freute mich! Ich lächelte! Was war das für ein Tag!
… und ich kam nicht mehr vorwärts … Ein Ultra ist erst zu Ende, wenn du das Ziel erreicht hast.
Ich war noch nicht im Ziel. Schatten! Pause. Ich schleppte mich zu einem Stein. Setzte mich. Zum Glück hatte ich in Tazacorte noch meine Trinkflaschen gefüllt, kurz hatte ich schon überlegt, ob das noch notwendig sei. Getrunken. Wasser auf den Kopf und in den Nacken. Freundlich die Läufer gegrüßt, die an mir vorbei liefen.
Diese „Schwächephase“ hat nicht dazu geführt, dass der Lauf weniger „perfekt“ war – nein, ganz im Gegenteil, so wurde gerade verstärkt wie unglaublich gut die bisherigen 71 km verlaufen sind und wie dankbar ich für das bisherige Ergebnis sein durfte. Meine ohnehin schon sehr gute Stimmung steigerte sich zu einer wohligen Glückseligkeit! Doch noch saß ich auf dem Stein.
Langsam vorwärts, ganz langsam 300 Höhenmeter hinauf.
Dann war ich im Zielort Los Llanos. Viele Athleten verfluchen diese letzten 300 Höhenmeter, warum ist das Ziel nicht am Strand? Aber wenn man dann auf diese Zielgerade kommt, weiß man, warum man diese letzte Anstrengung noch machen muss. Die Zielgerade - über 1,5 Kilometer schnurgeradeaus durch die Stadt ins Ziel. Gesäumt von Zuschauern. Ich verpackte meine Stöcke. Trank einen Schluck Wasser. Der Rest über den Kopf. Und ich lief los. Ich lief, meine Schritte wurden immer lockerer. Meine Stärke kam zurück, ich war wieder da. Klar im Kopf. Emotional. Dankbar, glücklich. Ich lächelte. 1,6 km um nochmals den Traum Revue passieren zu lassen.
Daniela - sie war völlig aufgelöst schon vom Anblick der vielen unterschiedlichen Emotionen in den Gesichtern der Läufer vor mir, und dann freute sie sich sehr als ich kam – mit einem Lächeln und zufrieden! Ein toller unvergesslicher Zieleinlauf!
1:10 Stunde habe ich für die letzten 4 km noch gebraucht. Nach 12:27 Stunden war ich im Ziel.
Ein traumhafter Lauf! Finisher Bier! Stimmung genossen – Party machen können die Spanier übrigens. Und dann sind wir drei zurück zum Hotel. Pünktlich zum Abendessen.
Eine traumhafte Insel, ein wunderbares Umfeld
Vielleicht ist der Wettkampf auch deshalb zu etwas ganz Besonderem geworden, weil nicht nur der Lauf an sich, sondern die ganze Insel einfach traumhaft ist. Hinzu kam eine ganz entspannte Stimmung. Wir waren in Gedanken hier auf der Insel, die ganze Woche. Wir lebten im HIER und JETZT.
Problemlose Anreise (am Mittwoch, drei Tage vor dem Lauf), eintauchen in die warme Luft und das beständig schöne Wetter, das Hotel war voll mit Sportlern. Alle trugen Finisher-Shirts von diversen Wettkämpfen weltweit. Überall Plakate des TRV. Die freundlichen Spanier. Das gute Essen.
Pressekonferenz und Wettkampfbesprechung bei uns im Hotel. Kurze Irritation: die Straße zum Start sollte morgens gesperrt sein, nur für die Shuttelbusse frei. Ich hatte kein Ticket und nun? Daniela quatschte einfach jemanden an (Danke Daniela!). Julia kennt die Insel, sie läuft selber mit. „Insiderinfo: die Straße ist erst ab 5 Uhr am Wettkampftag gesperrt, wir holen dich um 4 Uhr vorm Hotel ab“. So kam ich stressfrei bis direkt an die Startlinie. Als einziger mit dem Auto .
Danke auch an Volker, der es ruhig ertragen hat, dass dann doch sehr häufig der Transvulcania im Fokus stand – im Vorfeld und natürlich danach erst recht. Es war sehr schön, dass meine Schwester und Volker den beschwerlichen Weg mit unendlich vielen Serpentinen auf sich genommen haben, um mich an den höchsten Punkten anzufeuern. Danke, dass ihr euren Urlaubstag mit meinem Lauf gefüllt habt. Danke, dass ihr mich bei diesem Abenteuer hautnah begleitet habt!
Als wir nach dem Wettkampf noch beim Essen im Hotel saßen, kamen Sportler mit großen Pokalen und Siegerchecks. Direkt neben uns nahm Budha Sunmaya aus Nepal Platz, die bei den Frauen Dritte wurde.
Der TRV ließ uns nicht los. Am nächsten Morgen beim Frühstück hat eine Vielzahl der Hotelgäste mit Stolz ein Finisher-Shirt des TRV getragen.
Der Transvulcania war hochklassig besetzt. Viele Läufer der Weltelite waren dabei. Bei den Männern kamen die Top 10 platzierten aus sechs verschiedenen Ländern. Bei den Frauen waren sogar neun unterschiedliche Nationen unter den ersten zehn Plätzen. Insgesamt waren Starter aus über 50 Nationen dabei. Neben dem Ultramarathon konnten auch ein Marathon und ein Halbmarathon gelaufen werden.
Jonathan Albon (GBR) hat in unglaublichen 7:03 Stunden gewonnen. Vor Dimitry Mityaev (RUS) und Tom Evans (GBR), beide 7:05 Stunden. Bester Deutscher war Hannes Namberger auf Position 14.
Bei den Frauen hat die Top-Athletin Ruth Croft (NZL) gesiegt, vor Ida Nilson (SWE) und Budha Sunmaya (Nepal).
Mit meiner Zeit von 12:27 Stunden habe ich bei 86 deutschen Startern und Starterinnen Platz 24 belegt. Von 900 Männer und Frauen, die am Morgen losgelaufen sind, bin ich an Position 308 ins Ziel gekommen. 145 von 900 Teilnehmern und Teilnehmerinnen haben das Ziel nicht erreicht.
Nach dem TRV standen für uns drei dann noch drei Tage Urlaub und Entspannung auf dem Programm, bevor es am Mittwoch dann wieder völlig problemlos zurück in die Realität ging. Eine Woche, die intensiver kaum sein kann. Eine sehr tiefe Kerbe in meiner Timeline.
Danke Daniela und Volker, dass ihr dabei ward!