von Thorsten
Traumhaftes Winterwetter / Herausfordernde 92 km
Die Brocken-Challenge, in den Vorjahren war der Start in Göttingen und das Ziel auf dem Brocken. Da in diesem Jahr coronabedingt keine Aufenthaltsmöglichkeit am Gipfel bestand, wurde die Challenge „gedreht“. Der Start war aber nicht auf dem Brocken sondern in Schierke. Um 6 Uhr ging es los – laufend auf den Brocken und dann weiter bis ins Ziel nach Göttingen. Durch die Bonusstrecke ab Schierke, galt es insgesamt 92 km zu absolvieren!
Nach 2018 und 2020 war dies bereits mein dritter Start bei der BC. Diesmal waren die persönlichen Ziele sportlich ambitioniert. „Du bist nicht zum Landschaftsgucken da“ war die klare Ansage des Trainers.
Mein Vorteil bei der „Revers“ Variante: Die letzten Kilometer führten durch meinen alten Heimatort Mackenrode. Dort wollten sich die Familie, Freunde und Bekannte versammeln, um mich auf den letzten 10 km anzufeuern.
Freitagabend bin ich in Göttingen angekommen. Startunterlagen abholen und Wettkampfbreefing. Der Lauf wird ehrenamtlich von Markus Ohlef (und das bereits zum 18. Mal) und seinem Team organisiert. Die Startgelder gehen zu 100% an regionale wohltätige Projekte.
Anschließend bin ich nach Mackenrode gefahren, wo sich bereits Petra, meine Eltern und mein Onkel einquartiert hatten. Kohlenhydratspeicher auffüllen mit einer leckeren „Pastaparty“. Ugali (Maismehl) zubereiten, Klamotten bereit legen. Der wichtige Schlaf wollte zwar nicht so schnell kommen, zu groß war die Vorfreude (oder Anspannung), aber irgendwann bin ich dann doch eingenickt. Um 3.30 Uhr fuhr der Bus in Göttingen Richtung Start. Um diese Uhrzeit bin ich jedoch erst aufgestanden, denn ich konnte Petra motivieren, mich direkt nach Schierke zu bringen.
Toast mit Quark und Marmelade, Kaffee in die Thermoskanne, Equipment ins Auto. Um 4.30 Uhr ging es dann auch für mich los (zunächst noch im Auto).
Auf der Fahrt noch ein wenig Haferflocken gegessen, Kaffee getrunken und viel Wasser. Um 5.30 Uhr waren wir in Schierke. Eintragen in die Startlisten. Nochmals Klamottencheck (Crossschuhe, Beinlinge, kurze Laufhose, langes Unterziehshirt, Funktionspullover, dünne Windjacke, Halstuch, Mütze, dicke Handschuhe, Stirnlampe, Laufrucksack mit 1 Liter Sportgetränk und 2 Energiegels, Telefon) und dann auf zur Startlinie. Minus 7 ° C – ziemlich frisch.
Der erste Teil
06:00 Uhr: wir laufen los. 10 km die Brockenstraße, stetig bergauf Richtung Gipfel. Wir hatten Glück, direkt vor uns räumte die Schneefräse den Weg frei. Entgegen der Vorhersage hatte es in der Nacht einige Zentimeter geschneit. Der Mond war hell und erleuchtete den weißen Harz. Im Osten ein herrlich roter Sonnenaufgang!
Die Taktische Frage: laufe ich mein Tempo, hänge ich mich an jemanden ran, wie sind die vermeintlich schnelleren Läufer einzuschätzen (erfahrene Profis oder Frischlinge, die es viel zu schnell angehen). Nach exakt 60 Minuten war ich auf dem Brocken. Zu schnell? Nein, das sollte noch passen. Ohne Pause lief ich direkt weiter.
Wir verließen jetzt die geräumte Straße und auf Schnee ging es auf den Wanderwegen weiter. Das hier im Oberharz noch ordentlich Schnee liegt war klar. Bis Oderbrück hatte ich mich auf einen anstrengenden Downhill vorbereitet. Es war jedoch viel schwieriger als wir alle vermutet hatten. Mehrere Zentimeter Pulverschnee, der auf gefrorenen und unebenen Altschnee lag. Mehr stolpern als Laufen! Aber ab Oderbrück (km 18) sollte der Schnee „eigentlich“ weniger werden.
„Eigentlich“, war aber nicht so! Hinzu kam noch, dass die Wege ab hier abseits der vielbegangenen Strecken verliefen, schmale Wege. Vor uns (ich hatte mich an einen Läufer rangehängt) nur die Spuren von drei (!) anderen. Wir bahnten uns den Weg durch den Schnee. Verpflegungspunkt Lausebuche (km 27,5), das Geläuf war weiterhin „anders“ als erwartet. Viel schöner als erwartet war jedoch das Wetter! Strahlender Sonnenschein, blauer Himmel, tolle Blicke zurück auf den Brocken. Die sonst kahlen Windbruchstellen waren jetzt schneeweiß überzogen. Winterwunderland!
Kleiner Gegenanstieg zum Jagdkopf und dann hinunter nach Barbis. Meinen „Zugläufer“ muss ich jetzt laufen lassen. Nach 47 km war ich am Fuße des Harzes. Hier wartete Petra. Sie hatte einen Klappstuhl für mich bereitgestellt. Kurze Wadenmassage mit „Teufelskralle“ (nicht Petras Hände, sondern eine Salbe). An dieser Stelle übrigens liebe Grüße an Manuel [Insider]). Von Crossschuhen auf Straßenschuhe gewechselt. Jacke und Pullover aus, langarmiges T-Shirt an. Nach wenigen Minuten lief ich weiter.
Der zweite Teil
Während der kurzen Pause haben mich noch zwei weitere Läufer überholt. Ich lag jetzt auf Position sieben. Das war besser als vorgesehen. Dennoch wusste ich, dass der Wettkampfplan nicht aufgehen konnte. Die Schneeverhältnisse im Harz haben deutlich mehr Kraft gekostet als ursprünglich (bei guten Verhältnissen) gedacht. Jetzt nochmals zu einem locker, flockigen Marathon starten? So fühlte ich mich nicht. Ab Barbis überwiegend Asphalt und nur wenige Waldwege. Meine Oberschenkel konnte ich -trotz der Massage- deutlich spüren. Das Laufen wurde bereits hart. Gedanklich musste ich mich voll fokussieren und versuchen in den Flow zu kommen. Das gelang mir heute kaum.
Ich hatte jedoch das Glück, ab Barbis einen anderen Läufer zu finden. An dem versuchte ich dran zu bleiben – das funktionierte. Letztendlich haben wir uns bis zum Ziel „gebattelt“ und sind zeitgleich eingelaufen.
Lange Aufgaben in kleinere Abschnitte aufteilen, kennen sicherlich viele als Motivationstrick. Der funktionierte bei mir aber nicht. Wenn du ziemlich fix und fertig bist, ist es einfach keine ausreichende Motivation „nur“ zum nächsten Verpflegungspunkt zu kommen. Ich brauchte ein „Bild“ auf das ich zusteuern wollte und dieses Bild, das mich emotional motivierte, waren die Augen, die Anfeuerungen der Familie in Mackenrode.
Aber bis dahin lag noch etwas Strecke vor mir. Über den Rotenberg hinweg und dann zum nächsten VP an der Rhumequelle- ich hatte jetzt fast 60 Kilometer hinter mir. Petra war auch hier wieder eine ganz wichtige mentale Stütze! Zwischen Rüdershausen und Rollshausen sollte es eigentlich laufend über den Hellberg und an der Tilly-Eiche vorbei gehen. Die Strecke führte auch dort lang. Jedoch mussten wir teilweise auf allen Vieren den Wald hochkraxeln, denn es ging über tiefe und extrem schlammige Rückegassen.
VP Rollshausen km 68,5 – ich hatte ihn erreicht! Fast unglaublich, dass ich weiterhin meine Position halten konnte. Straße und Radweg nach Bernshausen. Der Slalomlauf um die vielen Fußgänger, die bei dem weiterhin sonnigen Wetter, um den Seeburger See schlenderten, lenkte etwas ab. Hoch zur Seulinger Warte – der letzte Anstieg vor dem Göttinger Wald. Hinab nach Landolfshausen – dem letzten VP.
Das Finale
Es begann mit Olaf und Dieter, die hinter der Seulinger Warte auf ihren Bikes warteten und mich bis in den Göttinger Wald begleiten sollten. Mit Herbert und Sandra, die mich in Landolfshausen anfeuerten. Welch ein Support. Ich näherte mich langsam Mackenrode und die Strecke ab Landolfshausen kannte ich sehr genau. So genau, dass mir klar war, dass diese -im Vergleich zum Brockenaufstieg- nur leichte, aber fast 10 km andauende Steigung, in dieser Phase des Rennens alles andere als locker leicht zu meistern war. Beflügelt durch die Begleitung lief ich mit neuer Energie los. Am Schützenhaus vorbei, kurzes „hallo“ an Dieter und Adolf, die auf der Bank in der Sonne saßen. 3 km hinter Landolfshausen kam Mackenrode, das Bild das mich die ganze Zeit zog.
Das, was dann tatsächlich folgte, war jedoch viel schöner als mein inneres Bild. Ich lief an der alten „Sparkasse“ vorbei und hörte und sah … sehr Viele! (Meine Eltern, Manfed, Dietmar [mit Zeitungsartikel], die beiden Volkers, Ilona, Detlef, Waltraut, Dieter, Peter, Katharina, Lina, Katja, Wolfgang [am Fernglas]). Ein Hormonspiegel spielt während eines Ultralaufes durchaus auch mal etwas verrückt. Und als „Mann“ schiebe ich meine folgende Reaktion mal auf diesen Umstand. Denn als ich euch sah, da schossen mir doch tatsächlich die Tränen in die Augen, so überwältigt war ich in diesem Augenblick. Einfach nur unglaublich!
Diese Unterstützung war in dieser Phase des Rennens extrem wichtig! Denn ich musste noch weitere Kilometer steil bergauf laufen. Die Gedanken an die müden Beine und die schmerzenden Oberschenkel waren jetzt völlig verschwunden. Freude, Stärke, Zuversicht beherrschten jetzt meinen Kopf. Die Unterstützung der Freunde gab mir neue Kraft.
Ich war auf der Kante des Göttinger Waldes angekommen. Jetzt wieder im herrlichen Wald, musste ich/durfte ich noch 5 km bis zum Ziel nach Göttingen laufen. In die Arme von Petra. Aber auch hier wieder eine Überraschung: Inge, Otti, Dirk mit Frau und Axel waren gekommen. Das köstlich herbe Göttinger Pils war eine erste Wohltat nach den süßen Energiegels.
Nach 9:10 Stunden hatte ich die Ziellinie überschritten. Letztendlich habe ich mit meiner Zeit den gemeinsamen Platz 7 (von 132 Finishern) erreicht.
Diesmal habe ich jedoch nur einen Teil zu dieser guten Platzierung beigetragen. Ohne den kontinuierlichen Support von Petra und die Vorfreude auf Mackenrode, die mentale Erfrischung durch die Radbegleitung von Olaf und Dieter , durch meine Familie und durch die vielen, vielen Mackenröder hätte ich diesen Platz nicht erreicht. Alle, die vor Ort dabei waren, aber auch diejenigen die in Gedanken dabei waren – euch allen gehört ein Teil der Medaille!
Viel Freude und ein stundenlanges Lächeln zauberten mir auch später noch das Nachvollziehen der Chats und das Lesen der vielen lieben WhatApp Nachrichten, ins Gesicht.
Ohne die Trainingsgruppe des TSV Schwarme und das Coaching von Martin ist ein siebter Platz bei einem Ultramarathon natürlich auch nicht zu schaffen.
BC, ich komme wieder!