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Tränen schon vor dem Start

von Thorsten

Am Freitag, 16. Juni um 22 Uhr endete der Countdown zum Start des 11. Zugspitz Ultratrails. Mit knapp über 500 Athleten lief ich in Garmisch-Partenkirchen los, um das Wettersteinmassiv mit der Zugspitze zu umrunden. Etwas flapsig sagte ich zu meinen Eltern und meinem Neffen, die Vorort dabei waren: „Morgen um 18 Uhr bin ich wieder in Garmisch, dann haben wir noch genug Zeit zum Feiern“.

18 Uhr – das bedeutete, ich hätte die Strecke in 20 Stunden bewältigen müssen! War das überhaupt machbar? Warum setzte ich mich auf einmal „unter Druck“? War diese Bemerkung hilfreich? Aufgrund der nicht ganz perfekten Vorbereitung, gab es bereits eine Zielvorgabe – und die hieß: „nur“ finishen. 27 Stunden hätte ich dafür Zeit gehabt.

ZUT Höhenprofil

Der ZUT ist Deutschlands größtes Trailrunning Event. Über 3.000 Läuferinnen und Läufer überquerten in 6 Wettbewerben die Ziellinie in Garmisch-Partenkirchen. Bei „meiner“ Ultrastrecke sollten 403 Läufer das Ziel erreichen; 20 % haben aufgegeben oder die Cut-Off Zeiten nicht eingehalten.

ZUT 1War ich am Vortrag noch etwas enttäuscht von der verhaltenen Stimmung in Garmisch, war die Atmosphäre am race day super. Der Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr spielte prächtig auf. Die Straßen waren voll. Noch lange nach dem Startschuss wurden wir Läufer vom Straßenrand aus angefeuert.

Zunächst ging es die ersten Kilometer relativ flach Richtung Eibsee. Dadurch zog sich das Läuferfeld gut auseinander und bei den ersten Steigungen und engen Passagen im Höllenkar gab es kein Gedränge. Meine Gedanken galten zu dem Zeitpunkt noch der Klamottenwahl – war die bei mir passend? Völlig unterschiedlich waren die Läufer bekleidet, von Tank-Tops bis zum Pullover und dicken Jacken war alles dabei. Ich hatte mich für ein langes, aber dünnes Unterziehshirt und darüber ein normales Laufshirt entschieden. Im Augenblick noch leicht zu warm, war es aber die perfekte Wahl, da ich mich auch während der Nacht nicht umziehen musste.

ZUT2Ich fand einen lockeren Rhythmus, war gut drauf. Ich nahm gut Flüssigkeit zu mir. Nach 1,5 Stunden anscheinend wieder ein kleiner Hot-Spot mit applaudierenden Zuschauern – ich lief weiter. Uuups – das war jedoch die erste Verpflegungsstation! Das wurde mir aber erst bewusst, als es fürs Umkehren schon zu spät war. Wann kommt die nächste? Laut Plan erst wieder in über 2 Stunden. Statt Gel hatte ich noch zwei Frucht-Smoothies, da brauchte ich zum Runterspülen nicht so viel Wasser. 550 Höhenmeter waren bereits bezwungen und jetzt kam der erste knackige und lange Anstieg – mit kraftvollem Stockeinsatz kämpfte ich mich nach oben. Kürzere Downhills – alles super. Bereits 1:20 Stunden nach dem verpassten V1 am Eibsee war ich am V2! Jetzt realisierte ich, dass meine Pace sogar deutlich schneller war, als die angepeilten 20 Stunden. 

Die Nacht war dunkel und kühl, aber windstill, die Stirnlampe machte gutes Licht, ein sehr langer Anstieg zum höchsten Punkt des gesamten Rennens. Weiterhin kraftvoll machte ich Plätze gut. Auf halber Strecke, am VP 3 lag ich auf Gesamtrang 81 und auf dem weiteren Anstieg überholte ich noch weitere Läufer.

ZUT Sonne

Exakt um 4 Uhr fingen die Vögel an zu zwitschern. Langsam wurde es hell, die Sonne sahen wir jedoch erst, als sie schon weiter über dem Horizont stand. Es galt zunächst einen weiteren hohen Bergrücken zu überschreiten. ZUT3Davor war jedoch der lange, teilweise sehr technische Downhill zu bewältigen -  über Schneefelder und extrem schlammige Hänge. Bergab musste ich leider viele Plätze einbüßen, dennoch lag ich im „Tal“ bei VP 4 noch auf Platz 70. Jetzt der nächste lange Anstieg und auf dem Grat endlich die Sonne.
Mühsam hatte ich im Uphill wieder Platze gut gemacht, aber wir liefen alle dicht hintereinander. Was kommt nach jedem Aufstieg? Ein Downhill. Diesmal wenig technisch, einfach nur lang. Tja – in rasendem Tempo stürzten sich die anderen Läufer hinunter, in Sekundenschnelle hatten sie zig Meter Vorsprung vor mir. Vielleicht lief ich etwas verhaltener, weil ich noch Angst vor meinem lädierten Fuß hatte, anderseits wollte ich noch nicht alles auf eine Karte setzen und vermutlich fehlt mir im Downhill einfach das spezifische Training. Trotzdem, bis jetzt war alles super!

Mit dem hellen und sonnigen Vormittag kam jedoch eine Müdigkeit, die ich sonst eher nicht kannte. Der Kampf begann und jetzt wurden die „20 Stunden“ zu einer wichtigen Richtschnur. Ich hatte eine Orientierung, ein messbares Ziel.

Am VP 5 hatte ich bereits 3.140 Höhenmeter und 58 km absolviert. 30 wellige Kilometer lagen noch vor mir, bevor es zum ultimativen und finalem Schlussanstieg ging.

Am VP 6 wartete mein Neffe Justus auf mich. Zum ersten Mal (und letzten Mal) setzte ich mich kurz hin. Gesicht gewaschen, frisches Shirt, Füße eingecremt, neue Socken und Schuhwechsel – weiter! Immer die 20 Stunden vor Augen. Noch hatte ich bei den Durchgangszeiten 30 min „Luft“. Jetzt war alles nur noch eine Sache des Willens. 

Das Finale – so nenne ich es mal.
Zut DownhillEs begann mit dem längsten Anstieg des ganzen Rennens. Extrem fordernd bis zur Hochalm. Da das Feld jetzt sehr weit auseinandergezogen war, konnte ich im Uphill kaum noch Plätze gut machen. Dennoch bin ich wieder sehr gut hinauf -zumindest bis zur Hochalm- gekommen. Die Sonne brannte mittlerweile vom Himmel. Es war 14.30 Uhr, ich war fast 16 ½ Stunden unterwegs. 

Zut KarteUnd jetzt?? Bisher war es ein „schönes“ Rennen. Doch dann – an der Hochalm – wir waren völlig fertig vom langen Anstieg, kamen uns die ersten Läufer entgegen, die bereits bergab Richtung Garmisch liefen. Und wir? Seht euch den kleinen Kringel auf der Laufstrecke an. Jetzt kam der Horror. Auf steilen Skipisten bergan, musste wir noch einen weiten Bogen zum Osterfelder Kopf laufen. Ja gut, der Ausblick war atemberaubend, aber die Strecke? Breite und extrem steile Schotterpisten. Irgendwie machte dieser Weg jetzt gar keinen Sinn mehr. Gefühlt eine Ewigkeit kämpfen wir alle auf dieser vermeintlich kurzen Passage.

5.100 Höhenmeter, 96 km – jetzt eigentlich nur noch 15 Kilometer bergab. Die ersten 5 km davon, bis zum letzten VP war die Trail technisch und steil – das war ok. 

Die letzten 10 km – die Hölle. Steile Forstwege und senkrechte Skipisten runter – warum? Meine Oberschenkel und Knie hatten keine Lust mehr. 20 Stunden! Es wurde immer enger. Ich biss auf die Zähne, ich schrie im wahrsten Sinnes des Wortes. Und selbst auf den letzten flachen Asphaltkilometern  - statt Euphorie eher leichte Ernüchterung. Motiviert an Überholenden dran zu bleiben, war ich nicht. 

20 Stunden! Bis jetzt haben sie mich geleitet und jetzt erzeugten sie dann doch noch ein Lächeln auf meinem Gesicht. 20 Stunden ich werde es tatsächlich schaffen. Völlig verrückt! Den letzten Kilometer habe ich mich nochmals zusammengerissen.

ZUT4

Ja! Der Zieleinlauf war schön! 17.42 Uhr – vor 18 Uhr – ich hatte mein „Versprechen“ eingehalten. Gesamtrang 138 war es am Ende – völlig unwichtig. Unter 20 Stunden – unglaublich. 

Alles Versprochene konnte ich dann aber doch nicht einhalten – die Party fiel aus. Meine Kraft reichte noch nicht einmal zu einem Siegerbier, geschweige denn, um etwas Essbares aufzunehmen. Duschen im leichten Delirium und dann in einen Tiefschlaf gefallen – allerding schon im bequemen Bett.

Mir geht es gut –auch zwei Tage nach dem Lauf hält sich der Muskelkater in Grenzen. Gelenke und Bänder schmerzen nicht. Klar habe ich mich gut vorbereitet, viel trainiert, das ist mein Beitrag den ich selber leisten kann. Doch der ist marginal. Dass ich überhaupt in der Lage bin diesen Sport zu betreiben, dass ich Gesund bin, darauf habe ich keinen Einfluss. Wie groß dieses Geschenk ist, hat mir der ZUT verdeutlicht. Für dieses Geschenk bin ich sehr dankbar!

Und letztendlich ist Vieles völlig unwichtig und Kleinigkeiten so bedeutend! Ich wollte mir eine neue Kaffeemaschine gönnen, wenn der Lauf gut klappt – an diese materielle Sache, habe ich nicht eine Sekunde gedacht. Die feuchten Augen meiner Mutter vor dem Zielkanal, die anerkennenden Blicke von meinem Vater und Justus – das bleibt!

Härte braucht es, um fast 20 Stunden zu Laufen und dennoch kamen schon vor dem Start die Tränen:

„Ganz viel Glück, ich bin jetzt schon stolz auf dich, hab dich lieb“ – war die Nachricht meiner Tochter… und damit war klar – nichts hätte mich jetzt noch davon abhalten können in Garmisch über die Ziellinie zu laufen. Notfalls hätte Justus meinen Körper mit Gaffa-Tape zusammenflicken müssen. Ich wäre irgendwie nach Garmisch gekommen!