von Martin Ott
24h-MTB-Alfsee 2012, Deutsche Meisterschaft
Vor einigen Wochen bekam ich die Anfrage, ob ich nicht in einem 8er-Team um die Deutsche Meisterschaft im 24h-MTB-Rennen fahren wolle. Reizvoll war das Angebot schon, denn das Startgeld würde gesponsert werden, Mechaniker und Betreuer würden sich um Alles kümmern. Da ich mich aber gerade auf Wettkämpfe vorbereite, bei denen eher Langzeitausdauer gefordert ist, lehnte ich dankend ab. Am vorletzten Samstag dann eine erneute Anfrage, gesucht wird dringend ein Ersatzfahrer für ein 2er Team, die Konditionen sogar noch besser, ein persönlicher Betreuer würde sich nur um mich und den Teampartner kümmern. Ich bekam einen Tag Zeit die Sache zu überdenken und sagte Sonntag zu. Die Woche verlief dann relativ stressig, denn Material und Ausrüstung mussten hergerichtet bzw. erst einmal organisiert werden. Am Samstag morgen 6:30Uhr startete ich dann in das Wochenende, dessen Chronologie ich euch nicht vorenthalten möchte.
Samstag 02.06.2012
- 6:30 Uhr: Aufstehen, Dusche, ausgiebiges Frühstück, fehlendes Equipment zusammensuchen und einpacken, ca.10 mal die Checkliste durchgehen
- 8 Uhr: Tasche, Klappkiste, Feldbett, Fahrrad, Wegproviant ins Auto quetschen...die Nachbarn vermuten bestimmt, ich würde umziehen...
- ca.8:40 Uhr: Navi programmieren, feststellen, dass die Geldbörse noch auf dem Küchentisch liegt, Geldbörse holen, Anschnallen, Abfahrt in Richtung Alfsee
- ca.10:10 Uhr: Ankunft am Alfsee, Team gefunden, Auto auspacken, Equipment sortieren
- 11:30 Uhr: Strecke mit Teampartner und zwei Fahrern des 8er Teams erkunden, Fachsimpeln über Reifenwahl, Rennernährung und Gesäßcreme
- 12-14 Uhr: nochmal Equipment checken, Fahrplan für Wechsel besprechen, Ausruhen
- 14 Uhr: Philip (mein Teampartner) startet; Ich versuche noch zu essen, habe aber keinen Hunger und will eigentlich nur noch auf die Piste.
- ca.14:40 Uhr: erster Wechsel nach zwei Runden, Abklatschen, Attacke
- ca.15:20 Uhr: zweiter Wechsel; Ich erfahre von unserer Betreuerin, dass wir auf Platz 2 liegend richtig schnelle Rundenzeiten fahren. Ich fühle mich gut, habe aber Angst, dass wir uns übernehmen und überreißen.
- am zeitigen Abend: Das Essen fällt immer schwerer, die Beine melden erste Anzeichen von Erschöpfung. Kommunizierend über unsere Betreuerin Denise vereinbaren Philip und ich, nachts jeder einen Sechs-Runden-Turn zu fahren, damit der jeweils andere Zeit zum Ausruhen und Essen hat.
Mit einbrechender Dunkelheit schwindet mein Zeitgefühl immer mehr. Meinen letzten Zwei-Runden-Turn fahre ich schon mit Licht, in den Waldstücken ist man ohne orientierungslos. Die Müdigkeit zehrt an den Nerven, ich würde jetzt gern nach Hause gehen, in mein warmes Bett! Stattdessen löst mich Philip gegen 23Uhr ab und ich versuche zu Essen und zu Schlafen. Beides funktioniert nicht wirklich, außerdem friere ich furchtbar.
Sonntag, 03.06.2012
- gegen 2Uhr: Dick eingepackt warte ich in der Wechselzone auf Philip. Ein Schlaumeier verkündet stolz, sein Hightech-Fahrradcomputer meint, die Luft hätte sich auf 4°C abgekühlt. Danke für diese Info, Ar***!
- kurz nach 4Uhr: In der fünften Runde beginnt die Morgendämmerung, meine Laune bessert sich zusehendst, da ich mir die Kräfte gut eingeteilt hatte und konstant meine Runden drehen kann. Nach der dritten Runde reichte man mir Kuchen und Kaffee, was für ein Service! Das Fahren bei Dunkelheit fordert viel Konzentration, erstaunlicherweise ist die Müdigkeit auch weg. Gegen Ende des Turns vermeldet mein Magen, dass er jetzt gern aus dem Rennen aussteigen möchte, mir ist schlecht!
- kurz vor 5Uhr: Wechsel, Philip will vier Runden fahren, danach soll ich es ihm gleich tun.
Die Pause verläuft nicht gut. Ich schlafe bei dem Versuch zu Essen im sitzen ein, schaffe gerade ein Brötchen in anderthalb Stunden. Ich friere, da selbst meine Notfall-Winter-Ausrüstung schon nassgeschwitzt ist und nicht trocknen will. Denise kümmert sich rührend um mich, versucht mich zum Essen zu überreden und hält mir immer wieder vor Augen, wie gut wir im Rennen liegen. Ein favorisiertes Team hatte zu Beginn Defekt, konnte dann aber schnell aufholen und verdrängte uns auf Platz drei.
- gegen 6:30Uhr: Start für vier Runden am Stück. Ich gehe es langsam an, versuche Kraft zu sparen und achte peinlichst genau darauf regelmäßig zu trinken. Es geht erstaunlicherweise ganz gut voran, allerdings fühle ich mich miserabel. Mir ist mittlerweile schlecht vor Hunger, denke ich dann an Essen, wird mir noch übler! Ein Zitat von Jürgen von der Lippe geht mir durch den Kopf: "Ich fühle mich wie Kunstrasen!".
- kurz nach 8Uhr: Wechsel, Philip will drei Runden durchziehen, danach soll ich drei. Ich warne ihn schonmal vor, dass ich eventuell nur noch zwei am Stück schaffe. Auf dem Weg aus der Wechselzone mache ich Halt am offiziellen Verpflegungsstand und entdecke heiße Brühe.
Während ich mich zu unserem Camp schleppe, schlürfe ich heiße Brühe. Ein Traum! Mein Körper giert nach der Wärme und dem Salz, also lege ich nach und lasse mir von Denise Toast mit gesalzener Butter machen. Nun scheint der Tag gerettet. Es stört auch gar nicht mehr so, dass es seit geraumer Zeit zu der Kälte auch noch regnet und mein Versuch, mich durch eine heiße Dusche aufzuwärmen, am eiskalten Wasser der Campingplatzduschen scheitert.
- gegen 9:30Uhr: Wechsel, wir verabreden, dass ich zwei Runden fahre. Philip gibt zu Protokoll, dass er ebenfalls total platt sei.
- gegen 10:15Uhr: Die zwei Runden liefen hervorragend, ich konnte Tempo bolzen und freue mich auf etwas kräftiges zu Essen. In der Wechselzone gähnende Leere, kein Philip da. Die Betreuerin des 8er-Teams zuckt mit den Schultern, ein Fahrer des Achters bietet mir eine gefüllt Trinkflasche an und ich mache mich erneut auf die Runde.
Nach diesem Drei-Runden-Turn konnten wir unseren Vorsprung auf den vierten Platz sogar noch etwas ausbauen, denn mit der greifbaren Aussicht auf einen Podiumsplatz konnten wir noch einmal Reserven mobilisieren. Nach 23h:48min beendeten wir das Rennen, denn unser Vorsprung war für die Viertplatzierten nicht mehr einzuholen. BRONZEMEDAILLE! Total erschöpft, aber überglücklich, auch dass es nun vorbei war, fielen wir uns in die Arme.
Nach dem Rennen ging es dann erst einmal unter die, diesmal heiße, Dusche, anschließend Auto wieder beladen und ab zur Siegerehrung, die für eine Deutsche Meisterschaft etwas lieblos organisiert war. Mit einem schönen Pokal im Gepäck machte ich mich gegen 16Uhr auf den Weg nach Hause. 20Uhr ging ein langes Wochenende mit weniger als 1,5h Schlaf und ca.250km auf dem Mountainbike zu Ende. Sowas mache ich NIE WIEDER ...