von Thorsten
Seit fast eineinhalb Jahren mein erster Wettkampf. Eineinhalb Jahre Training, regelmäßig sechs Einheiten in der Woche. 4.000 km Laufen, 5.200 km Radfahren und leider -coronabedingt- nur ein paar wenige Schwimmeinheiten. Dazu Stabi-, Kraft- und Beweglichkeitsübungen. Eineinhalb Jahre „am Ball“ bleiben. Das war meine Vorbereitung.
Am Freitag, 25. Juni um 23.10 Uhr war der Startschuss in Cortina d’Ampezzo in Italien. Mit 1.182 weiteren Ultraläufern aus über 50 Nationen habe ich mich auf den Weg gemacht, 120 km durch die Dolomiten zu laufen und dabei 5.800 Meter hoch und auch 5.800 Meter wieder runter zu laufen. 30 % der Starter haben es trotz perfekter äußerer Bedingungen nicht durchgehalten.
Der Läufer
Meine Gefühle nach dem Lauf? Dankbarkeit! Ich fühle mich behütet! Ich bin dankbar für dieses Privileg, mich in dieser wundervollen Natur bewegen zu können. Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich von meinem Umfeld erfahre. Ich bin dankbar, dass ich gesund bin, um überhaupt in der Lage zu sein, ein solches Unterfangen zu bewältigen. Ich bin dankbar, die außergewöhnliche Stimmung beim Start und ganz besonders auch beim Zieleinlauf genießen zu dürfen.
Ich bin dankbar, in der Situation sein zu können, eine solche Herausforderung anzunehmen. Ich bin dankbar für die vielen, die unzähligen „glücklichen“ Umstände – die richtige Schuhwahl, geeignetes Essen, die leichten Stöcke, die gut sitzende Laufweste, das luftige Shirt, die bequeme Hose, den leichten Luftzug in der Mittagssonne. Ich bin glücklich, dass der Regen genau 30 Minuten vor dem Start aufhörte und ein gewaltiger Gewitterschauer erst 45 Minuten nach meinem Zieleinlauf hervorbrach. Ich bin dankbar für den Support von Petra, die lieben Worte von Leni und die bemerkenswerte Anteilnahme der Freunde, Familie, Sportkameraden zuhause. Ich bin dankbar für den gemütlichen Zeltplatz und den guten Schlaf in den Tagen zuvor.
Ich bin zufrieden mit mir selbst, weil ich die Vereinbarungen, die ich mit mir getroffen habe eingehalten habe, ich bin zufrieden weil ich es zu Ende gebracht habe, weil ich 22 Stunden fokussiert war. Diese Verbindlichkeit, das Vertrauen in sich selber, die Verlässlichkeit mir selbst gegenüber- das gibt mir Stärke – auch über dieses Rennen hinaus!
Der Lauf
Der Lavaredo Ultra Trail gilt als einer der wärmsten Ultra Läufe weltweit. In den meisten Jahren brennt die Sonne extrem. Doch vor dem Start war es eher kühl, wechselhaftes Wetter, Schauer, abends Dauerregen – weil kein Wind die Regewolken verjagte. Klamottenstrategie überdenken. Was muss du mitnehmen, wieviel Regenjacken? Wechselklamotten? Doch einen dickeren Pullover? Wo kreuze ich eine Straße, sodass Petra mir ggf. Wechselsachen bringen kann.
Unser Zelt umräumen, damit ich drinnen Platz habe, ein wenig mit Blackrolle zu arbeiten und mich ein bisschen dehnen kann. Immerhin habe ich mich am Nachmittag gemütlich in meinen Schlafsack einrollen und kurz die Augen schließen können.
Nochmals der Blick auf die WetterApp. Eigentlich wenig Wolken und auch für morgen kein Regen – nur diese eine Wolke hängt hier noch vorm Berg und regnet sich ab.
Und tatsächlich: exakt 30 Minuten vor dem Start hört der Regen auf, und sollte –zumindest während meines Laufes- auch nicht mehr wiederkommen.
Die Stimmung in Cortina ist grandios. Unzählige Menschen – alle mit Maske, aber ohne Abstand. Die Gänsehaut ist extrem – für uns die erste „Veranstaltung“ mit vielen Menschen seit eineinhalb Jahren. Um 23 Uhr starten die ersten 450 Läufer. Mit Startnummer 451 bin ich der erste der zweiten Gruppe.
Die Reihenfolge der Startnummern entspricht dem Leistungsniveau der Athleten (gemessen an den ITRA Punkten). Wie der 451ste von 1.350 Starter fühle ich mich aber eigentlich nicht ☺.
Ich habe eine kurze Laufhose, ein langärmliges Unterziehshirt mit einem T-Shirt darüber an. Auf dem Rücken die Laufweste mit der Pflichtausrüstung, Verpflegung und Getränken, in der Hand die leichten faltbaren Wanderstöcke aus Carbon. Etwas Abstand halten zumindest wir Läufer und wir tragen auch bis 500m nach dem Start noch unsere Maske.
Ich freue mich auf den Lauf. Es ist Vollmond. Jetzt wolkenloser Himmel. Die Berge sind zu erkennen – so hell scheint der Mond – was für ein unglaubliches Bild! Ich konzentriere mich auf meinen Lauf, auf mich, höre genau in meinen Körper herein. Vorsichtig starten. Es sind noch ein paar Kilometer bis ins Ziel. Meine Stirnlampe macht gutes Licht. Berghoch halte ich mich recht wacker – das bleibt auch das ganze Rennen so.
Der erste Anstieg (570 hm) auf 1.800m ist problemlos. Den anspruchsvollen Downhill kann ich locker hinunter sausen. Der nächste Anstieg zieht sich etwas. Nach 2:15 Stunden bin ich am ersten Verpflegungspunkt. Ein Stück Apfel, Getränkeflaschen auffüllen und weiter den langen Anstieg hinauf. Ich finde einen guten Rhythmus. Fühle mich stark. Auf einer Höhe von knapp 2.100 m geht es wieder hinab. Ein extrem langer Abstieg, über 800 hm runter. Um 3:40 Uhr bin ich an der zweiten Verpflegungsstation. Jetzt Brot mit Salami, Parmesan und Obst zu meinen süßen Energieriegeln. Getränkeflaschen auffüllen und weiter. Ein wenig länger dauert es bei den Verpflegungsstationen. Auch hier herrscht Maskenpflicht. Wir dürfen uns nichts selber nehmen, sondern müssen einen Teller dabei haben, den wir dann gefüllt bekommen. Der nächste sehr, sehr lange Anstieg Richtung drei Zinnen. Um kurz nach vier Uhr wird es schon langsam hell, die faszinierenden Dolomitenberge beginnen zu strahlen. Meine gute Stimmung wird fast euphorisch – aufpassen!
Die Morgendämmerung, die Sonnenstrahlen und die unbeschreiblich schöne Bergwelt in den Dolomiten lassen mich die Anstrengung tatsächlich vergessen. Um 6.30 Uhr (7,5 Stunden Race Time) bin ich am Verpflegungspunkt 3. Bei strahlendem Sonnenschein umrunde ich die Drei Zinnen – die bekannteste Gebirgsformation in Südtirol. Ein „kurzer“ Anstieg auf fast 2.500 m und dann geht es 1.000 hm runter!
Im Tal angekommen muss ich noch ca. 7 km laufen, um bei KM 66 zum ersten Mal wieder Petra treffen zu können. Diese 7 km haben es „in sich“ zu flach, um zu hiken, aber zu steil, um locker zu laufen. Dieser Abschnitt zehrt gewaltig. Ich fühle mich gut – sehe, wie mir später gesteckt wird, aber doch schon etwas ausgemergelt aus. Es ist 9.30 Uhr! Heiße Suppe mit Parmesan, Brot, Wurst, Käse, Obst. Seit dem letzten Verpflegungspunkt sind über drei Stunden vergangen.Ich wechsle die Klamotten, schmiere mir die Füße nochmals mit Hirschtalg ein, frische Socken, andere Schuhe. Petra massiert mir die Beine – das tut vielleicht gut!!
Der nächste Anstieg auf über 2.000m ist hart. Ich werde langsam. Aber viele andere auch.
Deutlich langsamer bewege ich mich bergab. Meine Beine signalisieren mir: „Wir haben keine Lust mehr“. Ich habe keine Schmerzen – es kommen einfach nur die eindeutigen Signale von meinen unteren Extremitäten: „Nö, wir machen jetzt langsamer“. Kurze Pause am Verpflegungspunkt 5. Es ist 11.30 Uhr.
Tja und dann kommt der Anstieg (1.000hm) - der sich unelend hinzieht (15 km)! Ein Hochtal, wunderschön! Gefühlt unendlich. Ja, auch das gehört zum Ausdauersport – ohne „Krisen“ geht es nicht. Beim letzten langen Downhill nach dem Anstieg im Hochtal war ein Laufen bei mir nicht mehr möglich. Ich bin schon langsam den Berg hoch und tatsächlich fast noch langsamer bergab. Kein Unterschied bei der Geschwindigkeit.
Fünf (!) Stunden nach der letzten Verpflegungsstation bin ich endlich am Col Gallina angekommen. Mittlerweile bin ich 17,5 Stunden unterwegs.
Ich bin gefühlt gut drauf. Und jetzt ist auch wieder Petra da. Nochmals Klamottenwechsel, wohltuende Beinmassage. „Leider“ habe ich wieder die Stirnlampe in die laufweste gepackt. Ursprünglich wollte ich vor dem Dunkelwerden wieder im Ziel sein – bei meinem aktuellen Tempo wird es eher Mitternacht werden
Den folgenden Aufstieg bin ich am Vortrag schon hochgewandert. Ich bewege mich somit in bekanntem Terrain, weiß was auf mich zukommt. Wieder etwas schneller war ich oben. Die Ernüchterung kam aber wieder beim Downhill – meine Beine hatten weiterhin keine Lust mehr. Seit nunmehr acht Stunden habe ich versucht Sie doch noch zu überreden. Der letzte Anstieg des gesamten Rennens. Das Zwiegespräch mit den Beinen geht weiter.
Der letzte Downhill – das furiose Finale
Am Col Gallina war meine geschätzte Ankunftszeit noch 24 Uhr. Etwas flotter war ich mittlerweile wieder unterwegs, 23 Uhr war möglich.
Und jetzt hatte ich sie endlich überredet – meine Beine. Sie hatten kapiert, dass ich nicht stehen bleibe. Und jetzt machten sie komische Sachen: „Ach, dann wollen wir jetzt aber möglichst schnell ins Ziel“. Ich nahm das mit Begeisterung war. Schnell eine Nachricht an Petra. „Vielleicht bin ich schneller im Ziel – ich gebe jetzt nochmals Vollgas“. Telefon in die Rückentasche und fest verschließen. Laufweste enger schnüren. Und jetzt verpflegungstechnisch alles auf eine Karte setzen. Ich nahm zwei Energiegels – nach so vielen Stunden fängt der Magen dann eigentlich an zu rebellieren – aber der schien auch ins Ziel zu wollen. Na dann! Der Kopf wollte sowieso - ins Ziel, aber vorher noch einen schönen Downhill absolvieren. Ich lief los. Und wie!
Eineinhalb Stunden Nonstop im maximalen Tempo. 50 Plätze konnte ich gut machen. Auf diesem Streckenabschnitt, dem Downhill bis ins Ziel, war ich tempomäßig unter den Top 20. Eine völlig unerwartete und deshalb unglaublich schöne Leistungsexplosion – immerhin war ich schon 21 Stunden unterwegs. Und es wurde noch besser!
Es war 21 Uhr, die Strecke führte mitten durch Cortina, durch die gesamte City – Tausende von Menschen klatschen und applaudierten und meine Beine flogen, hohe Knie, hohe Fersen, aufrechte Körperhaltung, schwungvolle Arme - ich bin durch Cortina, durch die Zuschaumenge geflogen, wahrhaftig geflogen!
Berauscht vor Glück und Freude habe ich um 21.15 Uhr nach 22 Stunden und 5 Minuten die Ziellinie überquert. Die Stirnlampe habe ich übrigens nicht mehr gebraucht ☺.
Petra war rechtzeitig da und hat meinen Zieleinlauf gefilmt. Gemeinsam haben wir noch die tolle Stimmung genossen. Gewonnen hat Hannes Namberger, der aktuell beste deutsche Trailrunner. Ich bin als 347ster ins Ziel gekommen.
Als wir gerade wieder im Zelt waren – und ich eigentlich noch duschen wollte, kam das starke Gewitter. Die Dusche habe ich ausfallen lassen – so dreckig und stinkend bin ich wohl noch nie eingeschlafen. Mich hat es nicht gestört und Petra hat`s auch überlebt.
Was für ein Abenteuer!
Ich bin dankbar!