von Thorsten
Es ist 4 Uhr morgens. Ich bin seit 19 Stunden unterwegs. Noch 10 km, dann bin ich in Chamonix, der französischen Bergsteigerstadt am Fuße des höchsten Alpen-Gipfels. Für die ganz großen Emotionen ist gerade keine Zeit (die kommen später), denn ich laufe einen technisch anspruchsvollen Singletrail bergab – mit einem Lächeln im Gesicht, mit Freude, mit Spaß an den letzten Kilometern. Petra wird mich an der Ziellinie in die Arme schließen. Alles ist schön!
Vor einer gefühlten Ewigkeit hat Petra mich in Courmayeur in Italien verabschiedet. Um 9 Uhr bin ich mit weiteren 2.000 Läufern aufgebrochen, um den Mont-Blanc zu umrunden. 99,2 km und 6.156 Höhenmeter habe ich am Ende bewältigt. Von Courmayeur in Italien sind wir über Champex in der Schweiz nach Chamonix in Frankreich gelaufen (daher der Name des Laufes: C-C-C). Einen großen Halbkreis um das Mont-Blanc Massiv. Immer den Blick auf den 4.810 m hohen „Weißen Berg“. Bis auf wenige Kilometer ausschließlich schmale Singletrails. Eine traumhafte Kulisse.
What a day! Perfektes Wetter! Sonnenschein, blauer Himmel – sollte das Wetter so bleiben
3D Route des Rennens: https://youtu.be/qb3FrCft_zk
Mein Rennen:
Courmayeur – La Fouly: 40,2 km; 2.705 Höhenmeter; 6:37:11 Stunden
Vom Start geht es kontinuierlich 1.429 Höhenmeter auf den ersten Gipfel (2.561m). Wie eine endlose Kette reihen sich die Athleten hintereinander. Überholt wird nicht. Macht auch wenig Sinn. Bei der Steigung bewegen wir uns so langsam vorwärts, dass die Kraftanstrengung eines „Überholvorgangs“ keinen Raumgewinn bringen würde. Ein unbeschreiblicher Blick auf den Mont Blanc. Ich MUSS einfach kurz anhalten und ein Foto machen. Kurze Bergabpassage. Nach 2,5 Stunden die erste Verpflegungsstation. Getränkeflaschen auffüllen, ein paar Kräcker und Käse, Sportgetränk und weiter geht’s. Zunächst auf einem Bergrücken, dann wieder ein Stück hinunter. Nach 4:15 Stunden die zweite Verpflegungsstelle. 26,1 km. Wieder nur kurz die Trinkflaschen aufgefüllt. Jetzt lag der Grand Col Ferret vor mir. Stetig bergauf. 5 km und 750 Höhenmeter. Die Sonne steht im Zenit – aber die Temperatur ist in dieser Höhe angenehm warm. Was für ein Spaß! Die Getränkeflaschen waren leer, aber endlich der Gipfel, ein großes buntes Zelt – doch nur Zeitnahme und Erste Hilfe Station – kein Tropfen Wasser. Also weiter. Nach La Fouly – hinunter ins Tal. In La Fouly war ich um 15: 38 Uhr. Und Petra war da! Bisher verlief alles bestens. Meine Ausrüstung war top, meine Stimmung hervorragend. 6:37:11 Stunden war ich unterwegs. Aber irgendwie doch deutlich hinter meinem groben Zeitplan und die lange Bergabpassage vom Col ins Tal hat viel –sehr viel Kraft gekostet. 10 min Pause – mit Petra gequatscht und weiter.
La Fouly – Champex Lac: 14 km; 580 Höhenmeter; 2:16:30 Stunden
„Nur“ 15 km waren es bis Champex Lac, wo zum ersten Mal offiziell die „Assistenten“ – also in meinem Fall Petra, Kontakt mit den Läufern aufnehmen und mit ins Verpflegungszelt durften. 15 km, überwiegend bergab, aber mit einem knackigen steilen Schlussanstieg mit 577 Höhenmetern. Im Tal waren die Temperaturen bei mittlerweile fast 30°C.
Weiterhin war ich auf mein Rennen fokussiert und trotzdem wird es hart, wenn der Magen auf einmal nicht mehr mitspielen will. Ohne Appetit und körperlich sehr müde kam ich ins Verpflegungszelt. Ich hatte mit 55 km und 3.282 Höhemetern gerade etwas mehr als die Hälfe der Strecke hinter mich gebracht. Pause – die war jetzt nötig. Sie wurde „etwas“ länger – fast eine Stunde! Klar, wenn ich ausschließlich eine gute Zielzeit im Blick hätte, muss sie kürzer ausfallen – aber die Pause war wichtig. Ich schluckte zwei Ingwerkapseln (hatte ich vorher noch nie ausprobiert), nur ein paar Nudeln – mehr bekam ich nicht runter, aber heiße Brühe, Kaffee und dann noch eine Flasche „Astronautennahrung“, die ich mir kurz vor der Tour noch aus der Apotheke besorgt hatte. Ich musste wieder los! Es war mittlerweile 18:51 Uhr.
Champex Lac – Chamonix: 45 km; 2.847 Höhenmeter; 11:15:10 Stunden
Die Pause und die entspannte Nahrungsaufnahme hatten Wunder bewirkt. Mein Magen sollte bis zum Ziel keinerlei Probleme mehr verursachen. Ich war wach und hatte Kraft! 11 km und fast 1.000 Höhenmeter über den Col de Forclaz bis Trient. Ein malerisches Abendrot – die Berge leuchten golden, welch eine Szenerie, welch ein Blick von fast 2.000 Metern auf die Berge und die weiten Täler. Kontinuierlich ging es voran. Ich brauchte keine Pause Die Wege waren phantastisch. Es war mittlerweile dunkel. Die gefürchtete Kälte blieb aus. Es ist warm!
In Trient (21.45 Uhr) durfte Petra wieder ins Verpflegungszelt. Jetzt wollte ich, dass das Rennen so super weitergeht – also kein Risiko. Wieder etwas längere Pause. Erneut Ingwerkapsel, Astronautennahrung und Brühe. Von Trient steil hinauf 860 Höhenmeter. Der vorletzte Berg! Und wieder hinunter.
Um 00.40 war ich in Vallorcine – dem letzten (!) Verpflegungspunkt. Die letzten sehr anspruchsvollen 18 km lagen vor mir. Obwohl die Ansage des Trainers an Petra lautete, mich schnell wieder los zu schicken, gönnte ich mir doch wieder eine halbe Stunde Ruhe. Frisch und kraftvoll – hinein in die letzte Etappe. Nach einigen Metern wanderte mein Blick nach oben. Neben Sternen sah ich eine zickzackförmige Glühwürmchenschnur, die sich endlos gen Himmel zog – es waren die Stirnlampen der Läufer, die Kette endete erst 800 Höhenmeter über meinem Kopf.
Jetzt saßen und lagen doch einige Athleten kraftlos am Wegesrand. Gestärkt durch meine Pausenstrategie brauchte ich unterwegs keine Pause mehr. Ich war konzentriert und energiegeladen - kontinuierlich vorwärts. Kopfhörer und eine ausgewählte Playlist hatte ich griffbereit – die Ablenkung brauchte ich aber gar nicht. Um 3:27 Uhr hatte ich den letzten Gipfel erreicht. Jetzt bergab. Und jetzt kam eigentlich das Wichtigste, darauf wo ich die letzten 18,5 Stunden hin gearbeitet hatte. Ich wollte jetzt noch bergab laufen können, ich hoffte so sehr darauf, dass ich den letzten Downhill genießen konnte, ich wünschte mir so sehr, dass ich noch ausreichend Kraft hatte – und mein Wunsch ging in Erfüllung. Klar war es jetzt hart, aber es war auch ein Genuss! Die Strecke bis auf die erste Passage war wieder technisch anspruchsvoll. Herrlich! Sternenhimmel, warme Nachtluft, unter mir kamen die Lichter von Chamonix langsam näher. Was für eine Freude! Morgens um 5.19 Uhr, nach 20:18:11 Stunden war ich im Ziel. 99,2 km und 6.156 Höhemeter hatte ich bewältigt.
Petra hatte Tränen in den Augen als ich vor Freude jubelnd und springend über die Ziellinie tanzte!
Nachtrag
Beim C-C-C waren nur die Athleten in der Auslosung, die innerhalb von 12 Monaten auch ausreichend Qualifikationspunkte gesammelt haben. Dazu muss man z.B. mindestens einen 100 km Lauf in den Bergen bereits absolviert haben. 2.132 Frauen und Männer sind gestartet – alle also „erfahrene“ Läufer. Bei perfekten äußeren Bedingungen haben jedoch 26 % aufgegeben (oder die Cut-Off-Zeiten nicht erreicht). 1.578 Finisher. Ich habe Platz 519 belegt und damit nur 4 deutsche Männer und zwei deutsche Frauen vor mir gehabt. Das Teilnehmerfeld war international besetzt. Vor mir waren -neben den Startern aus Europa- Athleten aus den USA, Hong Kong, Neuseeland, Peru, den Philippinen, Argentinien, China, Japan, Australien, Brasilien, dem Oman, Chile, Peru, Puerto Rico, Costa Rica oder Südafrika. Der UTMB – die inoffizielle Weltmeisterschaft der Ultra Trailrunner!
Best of CCC: https://www.youtube.com/watch?v=y0bXavCiguI
Was war mein Erfolgsrezept?
Mit der zweiten Rennhälfte war ich mehr als zufrieden. Am Ende fehlten nur 18 Minuten zu den angestrebten 20 Stunden.
Zielstrebigkeit, Willensstärke, Disziplin – könnte ich jetzt aufzählen – macht sich sicherlich in einem Bewerbungsschreiben auch gut, aber eigentlich ist es viel einfacher:
„Ich will es machen und ich bringe es zu Ende“– dieses Mantra habe ich mir im Verlauf der gesamten Vorbereitung eingebrannt. Ich habe niemals, in keiner Situation des Wettkampfes, an dieser Aussage gezweifelt. Um diese Entschlossenheit auch in der härtesten Situation zu behalten, ist jedoch ein klarer Geist notwendig. Und das gelingt mit Spaß und Freude am Tun. Das ist der Treibstoff für den Kopf – und ohne Freude funktioniert es nicht.
Aber Spaß macht es mir natürlich auch nur, wenn ich in meinem „Tun“ unterstützt werde. Für diese Unterstützung bin ich besonders dankbar. Petra und Leni – ohne euer Verständnis und eure Wertschätzung wäre mein sportliches Pensum nicht möglich. Ohne Coach Martin hätte ich dieses Projekt nicht so professionell gestaltet. Vielen, vielen Dank an die Sportfreunde vom TSV – auch ihr seid ein wichtiger Bestandteil des Erfolgsrezepts.
Ich hatte zum Rennen eine WhatsApp Gruppe eingerichtet, mir darüber aber gar nicht so viele Gedanken gemacht – wer sollte denn schon verfolgen, wie ich mich (nachts) um den Mont Blanc kämpfe? Dass dann aber doch so viel „Traffic“ herrschte, wie Petra mir immer wieder während der Pausen berichtete, dass war echt schön. Die vielen Gratulationen nach dem Lauf zaubern immer noch ein glückliches Lächeln in mein Gesicht. Vielen Dank.