von Thorsten
Freitagmorgen ging mein Zug nach Wien. Durch den kurzfristigen Fahrkartenkauf war eine Sitzplatzreservierung nicht mehr möglich. Der parallel fahrende ICE nach Süden war ausgefallen. Durch Streiks am Paderborner Airport wurden ganze Flugzeugladungen ab Kassel zusätzlich noch in den völlig überfüllten Zug gequetscht. Doch ich war tiefenentspannt! Vorfreude und Aufregung vor dem morgigen Tag herrschte vor.
Was wollte ich in Wien?
Meine Sportsaison war eigentlich am 1. September beendet. Ein paar Tage fast ohne Training bevor Anfang Oktober wieder die Vorbereitung fürs nächste Jahr losgehen sollte.
Am 1. September fand auch der Ultra Trail du Mont Blanc statt. Was für die Triathleten der Ironman auf Hawaii ist für die Trailrunner der UTMB - die inoffizielle Weltmeisterschaft und der Traum vieler Langstreckenläufer. Ähnlich wie für Hawaii müssen auch für den UTMB Qualifikationswettkämpfe bestritten werden, um überhaupt in den Lostopf für einen Startplatz zu kommen.
Es war ja gerade Trainingspause und so habe ich ein wenig länger im Internet gesurft. Und habe auch wirklich eher zufällig entdeckt, dass es noch einen Lauf (in erreichbarer Nähe) gab, wo Qualifikationspunkte vergeben wurden. Und das Entscheidende, - es gab noch freie Startplätze. Der Wienerwald Ultra Trail, vor den Toren Wiens. Ab Hannover in direkter ICE Verbindung erreichbar – nur ohne Sitzplatzreservierung.
Runde 1 (55 km)
Sonnabend: 4 Uhr aufstehen. 6 Uhr im Startbereich. Um 7 Uhr fiel der Startschuss!
Auf ging es mit ca. 200 Läufern auf die erste 55 km Runde. Ein steiler und langgezogener Anstieg – kein Problem. Danach wieder runter und rauf. Ich war gut unterwegs. Einige Forstwege, aber auch zugewucherte Singletrails, direkt durchs Unterholz, mitten über eine Schwarzwildkirrung.
Doch bereits ab Kilometer 20 merkte ich, dass das wellige Profil viel Kraft kostete und zwar besonders die bergab Passagen! Hoch hatte ich keine Probleme, nur runter. Das hatte auch zur Folge, dass ich permanent alleine lief, weil ich, wenn es runter ging, nicht mehr mithalten konnte.
Beim zweiten (!) Verpflegungspunkt bei Kilometer 36 waren meine Beine bereits sehr kraftlos.
Die Strecke wurde für mich danach noch anspruchsvoller. Noch steilere und sehr lange Abstiege! Senkrecht nach unten führende Rückegassen. Durch meine vorsichtigen und langsamen Schritte bergab kam ich einfach nicht vorwärts. Und nochmals ca. 400 hm runter zum Start/Zielbereich!
Insgesamt bin ich auf dieser 55 km Runde 1.600 Meter hoch (das war nicht das Problem) aber auch 1.600 Meter wieder runter gelaufen (das war das Problem!).
Für die erste Runde habe ich 6,5 Stunden gebraucht. Es war jetzt 13.30 Uhr. Strahlender Sonnenschein und warme Temperaturen im Start/Ziel Bereich.
Runde 2 (nochmal 55 km)
Was sollte ich jetzt machen? Ich war leicht irritiert. So schwer hatte ich mir die erste Runde nicht vorgestellt. Viel gelaufen bin ich beim letzten Abstieg nicht mehr. Die Knie waren weich wie Pudding. Aber ich war nicht angereist, um es bei einer Runde zu belassen! Das Wetter war ja (noch) herrlich sonnig.
Trotzdem kramte ich aus meinem Dropbag nicht das lange Laufshirt, sondern vorsichtshalber gleich ein langarmiges Unterziehshirt, die Laufjacke, eine Mütze sowie weitere Energiegels heraus. Wie sich später noch herausstellen sollte, war das eine wichtige Entscheidung.
Nach einer kurzen Pause bin ich um kurz vor 14 Uhr zu meiner zweiten Runde (wieder 55 km) aufgebrochen. Ich hatte weiterhin ein mulmiges Gefühl. Dass die zweite Runde deutlich länger dauern würde, als die erste war mir bewusst, doch nicht wie lange. Zunächst wieder der lange Anstieg (450 hm). Die Beine waren schwer, aber meine Fortbewegung sah noch nach Laufen aus.
Und dann wurde es dunkel! Und ohne Sonne wurde es auch merklich kühler. Ich zog das lange Unterhemd und die Jacke an. Beim Heraussuchen der Stirnlampe wurde ich von einem Läufer überholt. Mittlerweile war ich 3 Stunden alleine unterwegs und es sollten bis zum nächsten Verpflegungspunkt noch zwei weitere einsame Stunden bei völliger Dunkelheit werden.
Jetzt kamen noch weitere „Komponenten“ hinzu. Ich durfte mich nicht verlaufen. Wir waren im Wald unterwegs. Unzählige Kreuzungen und Rückegassen, Pfade die genauso gut ein Wildwechsel als ein Trail sein konnten. Und kein Licht von niemanden zu sehen. Navigation? Ich hatte eine PULSUHR OHNE Kartenfunktion (wie ich später feststellte, hatte so ziemlich JEDER eine GPS Gerät – zumindest im Rucksack dabei). Der Weg war lediglich an Kreuzungen und Gabelungen durch gelbe Sprühpunkte gekennzeichnet und in den Ästen hingen (bei den Abzweigungen) noch Schnipsel von Trassierband. Also, volle Aufmerksamkeit. Das hat zumindest funktioniert!
Auf meiner ersten Runde hatte ich den Verpflegungspunkt 2 nach 2 Stunden und 15 Minuten erreicht. Auf meiner zweiten Runde war ich nach 5 Stunden und 35 Minuten dort! 92 Kilometer und 12,5 Stunden war ich bereits unterwegs.
Und jetzt kam die Kälte!!! Selbst für die Helfer war es überraschend kalt. War es tagsüber noch sommerlich warm, sank jetzt die Temperatur auf ca. 3 °C. Die Helfer froren selber ziemlich. Es gab weder Decken noch heißen Tee. Ausruhen war also gar nicht möglich. Ich war (trotz langsamer Geschwindigkeit) völlig nassgeschwitzt. Nach ein paar Minuten Pause zitterte ich am ganzen Körper.
An dem Verpflegungspunkt traf ich dann einen weiteren Athleten und wir sind gemeinsam ca. 10 km gelaufen. Nachts mitten im Wald – durchs Unterholz nur mit der Stirnlampe. Das war schon ein „Abenteuer“. Aber meine „Bergabprobleme“ waren weiterhin da. Ich wollte mithalten, konnte aber nicht!
Der letzte Verpflegungspunkt: Nur noch 11 km bis zum Ziel. Vermeintlich nahe, aber, es lag ja noch der Abstieg vor mir.
Ganz langsam, es ging ja nur noch darum zu finishen – oder?. Leider nein. Ohne Energiereserven, nassgeschwitzt, bekleidet mit einem Funktionsshirt, einer Laufjacke und kurzer Hose bleibt man nur warm, wenn man in Bewegung ist. Meine „Kampfgeschwindigkeit“ war zu gering! Also mit letzten Kräften einen Rhythmus finden, der mich wohlbehalten ins Ziel bringt! Nach weiteren 2 Stunden und 10 Minuten(!) hatte ich auch die letzten 11 km bezwungen.
Um 23.35 Uhr habe ich die Ziellinie überschritten! Meine Pulsuhr zeigte: 117 km; 16:34:01 Stunden; 3.200 Höhenmeter (und auch runter!). Runde 1: 6,5 Stunden; Runde 2: 10 Stunden!
Mit mir haben noch weitere 50 Läufer die zweite Runde absolviert und 15 von denen sind sogar noch eine dritte Runde (= 100 Meilen) gelaufen.
Die Zieleinlaufzeiten lagen bei den zwei Runden zwischen 11:44:36 Stunden und 22:18:37 Stunden.
Fazit
Trotz der geschilderten Herausforderungen war der Lauf ein Erlebnis. Ich habe sehr viel daraus gelernt.
Dennoch dürfen solche „Unternehmungen“ nicht spontan erfolgen. Das Besondere z.B. an meinem Ironman war, dass der Wettkampf letztendlich nur der krönende Anschluss des gesamten Projektes war. Die Vorbereitungsphase gehört dazu und das hat das „Besondere“ ausgemacht.
Der Wienerwald Ultra Trail hätte es verdient ein Saison –Highlight zu sein und keine Aktion in „geheimer“ Mission. Der UTMB ist (noch) kein sportliches Ziel für mich, er ist eine Nummer zu groß – diese Klarheit hat mir der Wienerwald Ultra Trail gegeben.
Die Rückfahrt im ICE (mit Sitzplatzreservierung) war wunderbar entspannend. Ich konnte die Füße ausstrecken, gut schlafen und viel lesen.
Das Höhenprofil